Samm­lung J. W. (Dessau)

01.06.2024 bis 15.11.2024

Die Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA) in der DDR beschaffte teils auf unlauteren Wegen Kunstgegenstände und Kleinantiquitäten, um sie gegen Devisen ins westliche Ausland zu verkaufen. Ihre Zusammenarbeit mit der Zollverwaltung der DDR ist bisher ein Desiderat. 

Projekttitel: Vorgehen der Kunst und Antiquitäten GmbH beim Beschaffen von Kunstgegenständen und Kleinantiquitäten in Zusammenarbeit mit der Zollverwaltung der DDR – Die Sammlung J. W. (Dessau)

Projektleitung: Dr. Annette Müller-Spreitz

Projektbearbeiterin: Anna-Elisabeth Keim

Gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste

Projektbeschreibung

Der Museumsverband Sachsen-Anhalt startete im zweiten Halbjahr 2024 ein vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördertes, kurzfristiges Projekt im Fachgebiet SBZ/DDR, das einer privaten Dessauer Münz- und Antiquitätensammlung galt. Für den Zuständigkeitsbereich des Museumsverbands Sachsen-Anhalt, die vormaligen DDR-Bezirke Halle und Magdeburg, war der Fall zwar durch ein Rehabilitierungsverfahren bekannt, aber nicht dahingehend aufgearbeitet, ob staatliche Behörden die 1985 unter Behauptung eines Zollverfahrensfehlers gegenüber der ausreisewilligen Familie eingezogenen Gegenstände an Museen – in Sachsen-Anhalt, etwa ans Städtische Museum Dessau – übergaben. Erstmals wurden Rechercheansätze ausgelotet, um ähnlich gelagerte Entzugsvorgehen aufzudecken und im speziellen Fall die Objektwege nachzuvollziehen. War die Aufarbeitung der Objektverschiebung in den 1990ern kein Thema, konnte die Provenienzforschung nun zwei Spuren aufzeigen, aber nicht in Museen Sachsen-Anhalts.

Im Provenienzforschungsprojekt konnte die Frau für zwei Zeitzeugeninterviews gewonnen werden. Im ersten Interview berichtete sie darüber, wie das Dessauer Ehepaar seine Sammlung gemeinsam aufgebaut hat: „Meine Leidenschaft war natürlich eher die Antiquitäten, das Haus in dem wir wohnten, die Gestaltung, das Geschirr, die Bilder, das Porzellan, all das, das war meine Sammelleidenschaft. Aber der komplette numismatische Teil und auch der größte Teil der Literatur […] das war ausschließlich er. […] Ich habe ihn bewundert für diese Leidenschaft, aber ich bin nie eine Numismatikerin geworden.“[1] Zur ca. 20.000 Einzelobjekte umfassenden Sammlung gehörten Münzen, Notgeldscheine, Ehrenabzeichen, Möbel, Bücher, Bilder und Kleinantiquitäten. Im zweiten Interview erzählte die Frau eindrücklich von den Ereignissen vor und nach der Ausreise. Das Sammlerehepaar aus Dessau stellte 1983 einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik. Beide mit Kleinkind unterwegs wurden 1985 auf der Zugfahrt von Leipzig nach Frankfurt a.M. am Grenzübergang Gerstungen festgesetzt und einzeln verhört. Die vielen Sammlungsobjekte, die sie in ihren Koffern versteckt hatten, wurden bei der Zollkontrolle entdeckt und beschlagnahmt. Nach Verhören und Bedrohungen durch Mitarbeiter der Staatsicherheit und des Zolls eine Dezembernacht lang durfte die Sammlerin mit ihrem Sohn ausreisen. Der Sammler allerdings wurde festgenommen; die Wohnung in Dessau mit dem restlichen Umzugsgut eine Woche später durchsucht und weitere Gegenstände beschlagnahmt. Hinzu kamen Geldstrafen. Ein Bruch in deren Biografie entgegen dem Rechtsstaatsprinzip.[2]

Das Ineinandergreifen von 12 Behörden erfolgte sehr schnell. Hierbei konnte im Projekt aufgezeigt werden, dass das Ministerium für Staatssicherheit die Ausreise der Familie operativ nutzte, um den Entzug der Sammlung durchzuführen. Es handelte sich anscheinend um eine kurzfristig durchgeführte operative Maßnahme. Die Zoll- und Steuerfahndung des Bezirks Leipzig ermittelte wegen Verstoßes gegen das Zollgesetz der DDR und wegen Steuerverkürzung. Fünf Gutachter waren mit der Schätzung der verschiedenen Sammlungsbereiche beauftragt; ein Mitarbeiter der Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA) fertigte mehrere Zeitwertfeststellungen an. Die Steuerfahndung setzte eine Vermögenssteuerschuld fest, die der Sammler zusammen mit einer Ordnungsstrafe nachzahlen musste. Im Mai 1986 wurde er vor dem Kreisgericht Dessau zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe und einer hohen fünfstelligen Geldstrafe verurteilt sowie die asservierten Sammlungsobjekte eingezogen.

Zum Verbleib der beschlagnahmten, namentlich zuordbaren Sammlungsobjekte wurde in zehn verschiedenen Archiven recherchiert. Im untersuchten Fall wurden sieben Erfurter Brakteaten sowie fünf antiquarische Bücher von Gutachtern als Kulturgut der DDR kategorisiert eingeordnet. Für solche Sammlungsobjekte kamen Museen oder Bibliotheken als bewahrende Einrichtungen in der DDR in Frage. Hinweise auf derartige Objektwege finden sich in den Dokumenten bislang nicht. Im Bestand der  KuA im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde konnten zum untersuchten Enteignungsfall keine „Aufklebernummern“ bzw. Codes ausgemacht werden. Zwei Dokumente im Bestand der KuA, die auch in der Akte der Steuerfahndung des Bezirks Leipzig im Staatsarchiv Leipzig liegen, gehören zum Fall: eine Zeitwertfeststellung zu einem Teil der eingezogenen Antiquitäten aus der Dessauer Wohnung und ein zugehöriger Kaufvertrag zwischen dem bevollmächtigten Schwiegervater des Sammlers und der KuA. Im selben Bestand konnten weitere Akten ermittelt werden, in denen sich Hinweise auf einen möglichen Verbleib einzelner Antiquitäten aus der Sammlung fanden. Zu einem Verkaufsvorgang aus dem Lager Mühlenbeck an die Firma Fiehm in West-Berlin am 21. März 1986 existiert eine Spezifkationsliste vom 12. März 1986, wo in der Spalte „Bemerkung“ hinter Positionsnummern handschriftlich der Nachname der Familie bei einer „Konsole“, einem „Schreibtisch“ und einem „Klappspiegel“. Zusätzlich decken sich die Positionsnummern mit denen auf der Zeitwertfeststellung von Günther Walter: 8 „Holzkonsole“, 34 „Damensekretär“ und 36 „kleiner Spiegelschrank“. Bei einem anderen Verkaufsvorgang von April bis 14. Mai 1986 ähneln sich mehrere Kleinantiquitäten, die aus der Beschlagnahme am Grenzübergang bekannt sind und die Günther Walter in einer Wertfeststellung vom 14. Januar 1986 auflistet. Der Käufer, die Firma „Klostermühle“ in Uetersen bei Hamburg führt einmal über die Adresse zu einem Areal der ehemaligen Mühle des Klosters Uetersen, wo noch heute das Gebäude die Aufschrift „Antik“ trägt. Zum anderen führt der Name zum Mühlenareal „Langes Tannen“, wo ab 1979 ein Heimatmuseum eingerichtet wurde. In dessen Datenbank finden sich in Frage kommende Objekte mit den Erwerbsjahren 1986 und 1987.

[1] Zeitzeugeninterview I, Juli 2024, Min. 26.

[2] Vgl. Dritte Beschlußempfehlung und dritter Teilbericht des 1. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes. Dritter Teilbericht über die Praktiken des Bereichs Kommerzielle Koordinierung bei der Beschaffung und Verwertung von Kunstgegenständen und Antiquitäten, 15.03.1993, Drucksache 12/4500, https://dserver.bundestag.de/btd/12/045/1204500.pdf [21.03.2025], S. 51.