Erstcheck NS-Raubgut 5. Staffel

15.09.2024 bis 15.03.2025

Teilnehmer: Kreismuseum Jerichower Land Genthin, Museum Burg Querfurt und Museum der Stadt Zerbst/Anhalt

Projektleitung: Dr. Annette Müller-Spreitz

Projektbearbeiterin: Anastasia Yurchenko

Gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste

v.l.n.r. Agnes Almuth Griesbach (Museum der Stadt Zerbst/Anhalt), Annette Müller-Spreitz (Koordinierungsstelle Provenienzforschung beim Museumsverband Sachsen-Anhalt e. V.), Anastasia Yurchenko (Provenienzforscherin) und Antonia Beran (Kreismuseum Jerichower Land Genthin) beim Auftakttreffen im Museum der Stadt Zerbst/Anhalt (Jan Stenzel vom Museum Burg Querfurt musste vor dem Foto schon gehen)

Beschreibung

In der fünften Staffel fand ein Erstcheck in den zwei Stadtmuseen – Museum Burg Querfurt und Museum der Stadt Zerbst/ Anhalt –, und im Kreismuseum Jerichower Land Genthin zur Ortsgeschichte in der NS-Zeit, zu damals im Zusammenhang mit den Museen relevanten lokalen Akteuren und zu Erwerbungen ab 1933 statt, um NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut auf die Spur zu kommen. Die drei teilnehmenden „kleineren Museen“ – als assoziierte Einrichtungen des Museumsverbandes –, verfügen nicht über die notwendigen Mittel und Kapazitäten zur Provenienzforschung. Der Erstcheck half den drei Einrichtungen dabei, Verdachtsmomente insbesondere auf NS-Raubgut in ihrer Sammlung sowie die Ausgangs- und Quellenlage zu sondieren.

Für das  Kreismuseum Genthin wurde Karl Heinrich Vogeler, von 1927 bis 1948 Museumsleiter in Genthin, außerdem Leiter ab 1936 des Kreisarchivs und ab 1939 des Kreissippenamts (1940 aufgelöst da kein Bedarf mehr) näher beleuchtet. Unter ihm war Genthin ein Modellstandort für die Sicherung genealogischer und historischer Quellen. Er inventarisierte, dokumentierte und sicherte regionale Kulturgüter, Gutsarchive in der Umgebung und archäologische Funde. Von ihm liegen die Objektdokumentation, Eingangsbücher, Archivalien, Zeitungen und ein Zugangsverzeichnis ab 1928 vor.

29 Juden und Jüdinnen, u.a. Hugo Magnus und Iser Pfeffer, lebten 1933 in Genthin. Ihre Namen sind nirgends im Museum vermerkt. In den Unterlagen fanden sich keine Hinweise auf Kunsthändler   in   Genthin   oder   Haushaltsauflösungen   in   der   NS-Zeit.   Die   von   Magnus finanzierte Synagoge verkaufte er 1936; das Inventar sendete er an die Reichsvereinigung der Juden in Berlin. Eine Thora-Rolle wurde 1938 vom Museumsleiter vor dem Museum gefunden. 1968 wurde diese an die Jüdische Gemeinde Magdeburg verliehen; heute ist sie nicht mehr vorhanden. Auch der Erstcheck konnte keine neuen Informationen zum Verbleib eruieren.

Bei den Autopsien im Rahmen des Erstchecks fiel ein Kupferstich auf, der auf der Rückseite das Etikett des Berliner Antiquariats „Emanuel Mai“ trägt, das 1936 arisiert wurde und dessen jüdischer Inhaber Ulrich Mai mit seiner Frau Gertrud 1938 aus Deutschland flüchtete. Der als​ Lagerbestand bei Mai etikettierte Stich gelangte vermutlich im Zuge der Bodenreform ins Museum und wurde 1967 inventarisiert.

Im Museum befindet sich ein großer Bestand zur Arbeiterbewegung mit Lebensberichten auch zur NS-Zeit, jedoch gibt es keine Objekte in diesem Zusammenhang.

Im Museum Burg Querfurt wurde zu Richard Jaeckel (1879–1958, Buchdruckermeister und Verleger, Mitbegründer und Vorsitzender des Altertums- und Verkehrsverein Kreis Querfurt (1910), von 1910 bis 1952 Direktor des vom Verein betriebenen Museums Burg Querfurt) recherchiert. Es existiert im Hausarchiv ein kleines schwarzes Buch, wo er Museumsgegenstände unter fortlaufender Nummerierung bis 1017 notiert hat. Beim Erstcheck wurde festgestellt, dass ab 1930 im Museum kein Eingangsbuch geführt wurde. Stattdessen existiert eine allgemeine Auflistung des Sammlungsbestandes. Die Informationen zu Schenkungen enthalten keine weiterführenden Details. In den untersuchten Jahresberichten fanden sich keine Hinweise auf spezifische Objekte. Die Auflistung der Ausstellung in der Nordost-Bastei, die zwischen 1933 und 1945 organisiert wurde, stellt mit 70 Seiten eine andere zentrale Quelle für die Provenienzforschung dar. Alle 118 Besitzer und Einlieferer der ausgestellten Objekte wurden systematisch mithilfe der Proveana-Datenbank überprüft. Im Ergebnis wurden keine Verdachtsmomente gefunden.

Eine Waffe, „1 Gewehr, dessen Kolben und Lauf abgeschlagen ist. Wurde v.d. Komunisten beim Hölz-Putsch [März 1921] verwandt“, in einer schriftlichen Quelle identifiziert und eingeliefert von der Stadt Querfurt, kann in Verbindung mit NS-Verfolgung als „unklar“ gelten. Am 16. Mai 1933 fanden in Querfurt, im Raum Nebra und Schraplau sogenannte „Kommunistenrazzia“ statt. Allerdings wurde das Gewehr im Zuge der Überprüfung nicht im Bestand gefunden. 

Das Johannes-Schlaf-Museum wurde vom Kreisverband nach dem Tod des Ehrenmitgliedes Johannes Schlaf (1862–1941) in dessen Sterbehaus geschaffen. Nach dem Neuaufbau des Kreismuseums sollte die Heimatabteilung „eine kleine Erinnerungsschau an diesen großen Querfurter Dichter schaffen.“[1] Aus dem Inventarbuch des Nachlasses lässt sich teilweise nachverfolgen, bei wem Schlaf die Werke erworben oder von wem er sie geschenkt bekommen hat. Es ist durchaus möglich, dass Eigentum von NS-Verfolgten in den Nachlass von Schlaf gelangte (z.B. vier Landschafts-Grafiken von Paul Ernst geschenkt als unklar). Es handelt sich aber überwiegend um Bücher (u.a. eigene Werke), Manuskripte, Briefe, Bilder, Fotografien, Mobiliar und Hausrat aus Schlafs Besitz bzw. Geschenke (mit Widmung) an ihn, die unbelastet sind. Seine Schwester hat noch nachträglich Objekte geschenkt bekommen oder angekauft.

Hinter mehr als einhundert „Altbestand“-Eintragungen steckt Kunst- und Kulturgut, das während der NS-Zeit in die Sammlung aufgenommen wurde. Die unterschiedlichen Währungsangaben RM und MDN ermöglichen eine zeitliche Eingrenzung der Erwerbsvorgänge. Stichprobenartig geprüfte Objekte blieben ohne weitere Verdachtsmomente. In den Inventarbüchern ab den 1960er Jahren finden sich ca. 15 Erwerbungen aus dem Kunstantiquariat Franz Meyer Dresden. Die Herkunft der Werke, die vor 1945 entstanden und nach 1933 ins Museum kamen, ist für die NS-Zeit unklar. Gegenstände jüdischer Herkunft und der ehemaligen im Ort ansässigen Loge konnten nicht im Museum gefunden werden.
 

[1] Richard Jaeckel: 35 Jahre Heimatarbeit des Altertums- und Heimatverbandes Kreis Querfurt und angrenzende Gebiete e. V. Fortsetzung des Jubiläumsberichtes von 1935/1940 für die Zeit 1941–1945, 26.10.1945. S. 20.

Während der NS-Zeit existierte das heutige Museum der Stadt Zerbst/Anhalt noch nicht. Der Vorgänger für das heutige Museum war das städtische Museum Zerbst (auch Heimatmuseum). Nach der Gründung des Landesmuseums im Schloss Zerbst (1921 bis 1945) wurde das städtische Museum dort eingegliedert und von Gustav Hinze (1879–1972/73) geleitet. 1951 wurde das städtische Museum mit den übrigen Sammlungsbeständen neu im Francisceum eingerichtet.

1933 lebten 60 Jüdinnen und Juden in Zerbst. Am 9. November 1938 wurde die Synagoge geschändet, jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert und zerstört. 34 jüdische Bewohner wanderten vor 1939 in verschiedene Staaten aus. Von den 26 in Zerbst verbliebenen Bewohner:innen wurden im Jahr 1942 14 in den Osten verschleppt und 12 nach Theresienstadt gebracht. Ihre Namen wurden nicht in der Museumsdokumentation gefunden.

Verdachtsmomente ergaben sich im „Verzeichnis ohne übergeordnete Kennzeichnung“, in dem die „NSDAP aus Magdeburg/ Merseburg (?)“ als Einlieferer für 12 Waffen genannt wird. Ihre Herkunft ist unklar, aber als NS-verfolgungsbedingt sind sie vermutlich nicht einzustufen. Auch Fayencen, die in der NS-Zeit z. B. bei der Kunsthandlung Werner Spielmeyer Dessau erworben wurden, sind unklarer Herkunft. Ein „Zinnteller mit Gravierungen Fisch u. s. w.“ (gegossen, graviert, geprägt, gepunzt Johann Fries) mit hebräischen Zeichen fiel im karierten Notizbuch „Inventarverzeichnis Museum Zerbst“, datiert auf Oktober 1951, auf. Die Untersuchung lieferte zwar Erkenntnisse zur Materialität, Herstellungszeit und späterer Bearbeitung, die Provenienz aber bleibt unklar. Außerdem existieren Einlieferungsbelege aus der NS-Zeit zu 31 Freimaurerobjekten: (1) Liste mit 10 Gegenständen der Freimauerloge „Eisiko zum aufgehenden Licht in Dessau“, 21. Juni 1935, unterzeichnet von Rudolf F[…unleserlich]liever, Jena, Blumenthalstr. 2, (2) „Verzeichnis der Gegenstände, welche nach Schluss der Liquidation der Dessauer Freimauerloge ‚Esiko zum aufgehenden Licht‘, Zerbst, Schlossmuseum, 28. Januar 1936 abgegeben wurden“, mit 21 Objekten, die „aus Eigentum des Mitliquidators H. Lempke von diesem dem Staatsmuseum in Zerbst übereignet worden sind“ von Dr. Hinze dokumentiert und unterzeichnet. Am 23. August 1960 erfolgte eine Inventarisierung von zwölf „Logenutensilien“, etliche mit Hinweis auf die Zerbster Loge „Friedrich zur Beständigkeit“. Es wurde innerhalb des Erstchecks empfohlen, dass die mündliche Zustimmung zur Aufbewahrung sowie Ausstellung dieser Objekte von der gegenwärtigen Johannisloge "Zu den drei Säulen" im Orient Dessau durch eine passende Nachfolge-/Großloge als „faire und gerechte Lösung“ verschriftlich werden sollte.

Für das Museum der Stadt Zerbst/Anhalt wurde auch der Wissensstand zu den Kriegsverlusten zusammengefasst. Die Dokumentation des Museums Schloss Zerbst ist überwiegend zerstört, zum Teil durch sowjetische Trophäenbrigaden abtransportiert worden. Drei wichtige Quellen sind vorhanden: (1) „Inventarliste Slg. Schloss Hefter II“ (1939, ca. 100 Seiten, verschiedene Listen, die nach Eigentümern u. a. Amalienstiftung, Staat, Herzogliches Haus, Staatsarchiv, Stadt Zerbst, Radfahrerverein sowie auch nach musealen Räumen erstellt worden (Eingangshalle, Treppenhaus, Raum 3–11 (12 fehlt), Raum 13–20 (21 fehlt), Raum 22–44 (45 fehlt), Raum 47–58 (59 fehlt), Raum 60–77, Turmmagazine, Südwestecke, 1. Stockwerk, Kellermagazine), (2) „Verzeichnis ohne übergeordnete Kennzeichnung“ (erster Eintrag 16.02.1938.; letzter Eintrag 27.03.1945) und (3) vor 1945 erstellte Karteikarten aus dem Schlossmuseum Zerbst.

Virtuelle Karte Provenienzforschung in Sachsen-Anhalt